Mahnung und Erinnerung: Verfolgung und Deportation von Fuldaer Juden

23.12.2019 06:00

Foto: Archiv Anja Listmann

Schülerinnen und Schüler der Winfriedschule haben sich im Winter 2019/20 bei verschiedenen Anlässen engagiert, in deren Rahmen an die Verfolgung, Deportation und Ermordung von Juden auch aus Fulda erinnert worden ist.

Vom Schweigemarsch in Erinnerung an die 135 Mensche, die am 8. Dezember 1941 von Fulda nach Riga deportiert wurden, berichtet Merle Schick (9FL2):

Am Donnerstag, den 5.12.2019, nahmen wir (Klasse 9FL2) zusammen mit unserem Religionslehrer Herrn Flory an einem Schweigemarsch in Fulda teil. Dieser Schweigemarsch erinnerte an die 135 Juden aus Fulda, die von den Nationalsozialisten am 8. Dezember 1941 mit dem Zug nach Riga deportiert worden waren. Organisiert und geleitet wurde er von Anja Listmann, die sich schon lange mit den Schicksalen der Opfer auseinandersetzt und in Kontakt mit den Angehörigen der deportierten Juden steht. Sie berichtete uns, dass in Fulda und der Umgebung jene Juden gelebt und gearbeitet hatten, die dann im Jahre 1941 ihr Zuhause verlassen mussten.

Nachdem die Regierung sie aufgefordert hatte, sich in einer nahegelegenen Sporthalle zusammenzufinden, begann der erste beschwerliche Weg zum Bahnhof. Jahre der Trauer und des Leides folgten. Nur 12 der 135 deportierten Menschen überlebten. Fast 80 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen wollten wir bewusst zusammen dieser Menschen gedenken. Das Leid und der Tod dieser Menschen aus Fulda haben uns bewegt, den kurzen Weg vom Jerusalemplatz in Fulda bis zum Bahnhof schweigend zu gehen. Als wir am Bahnhofsvorplatz angekommen waren, folgte der wichtigste Teil des Gedenkens. Wir alle haben je einen Namen der Opfer und deren Sterbejahr laut vorgelesen. Alles wurde von einer Kamera dokumentiert, sodass die Angehörigen einen Mitschnitt der Verlesung geschickt bekommen konnten. Wir könnten gar nicht erahnen, was dies den Angehörigen bedeute, führte Anja Listmann aus. Wir waren sehr bedrückt, als wir in der eisigen Kälte standen und von diesen Menschen hörten, die genau wie wir hier gelebt hatten und dann Leid und Tod erfahren haben. In der folgenden Religionsstunde tauschten wir uns über die vergangenen Ereignisse aus und waren uns einig, dass jeder von uns dafür sorgen muss, dass gegen den leider wieder zunehmenden Antisemitismus in Deutschland immer unverändert vorgegangen wird, damit so etwas Schreckliches nie wieder passiert. Durch die Teilnahme an dem Schweigemarsch hatten wir ein kleines Zeichen setzen können und es wäre schön, wenn sich nächstes Jahr noch mehr Schüler als Zeichen der Anerkennung und des Respekts daran beteiligen.

Bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vom November 1938 konnten Oberstufenschüler des Abiturjahrgangs Q3 zu den versammelten Menschen sprechen. Mit dem Thema befasst haben sich z.B. aber auch Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe im Religionsunterricht von Herrn Flory. Zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht konnten eigene Reden verfasst werden, so wie die folgende von Lilly Bayas (10F):

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin gerührt, da ich sehe, wie zahlreich Sie - Nein! - wir heute Abend hier vor der ehemaligen Synagoge zu Fulda erschienen sind.

Der Anlass ist uns allen bekannt: An diesem Ort und so auch über ganz Deutschland verteilt ereignete sich vor 81 Jahren Ungeheuerliches! Vertreter der NSDAP und deren Begeisterte demolierten jüdisches Eigentum, Geschäfte und verletzten Menschen selbst. Die Justiz und zugleich auch die Feuerwehr versagten kläglich in ihrer Aufgabe, als Helfer und Retter eines jeden in Aktion zu treten.

Selbst heute, man will es kaum glauben, wird an Juden Hand angelegt und das ihrige zerstört. Stürmen doch mit Pistole bewaffnete Leute Synagogen und noch zu vieles mehr. Genau deshalb ist es wichtig, zu jeder Zeit daran zu erinnern, dass wir alle Menschen sind; wir sind gleich, unabhängig von Religion, Abstammung und Herkunft. Es liegt an uns allen, zu gedenken und aufzuklären.

Allein, wenn wir zurückblicken, macht all dieser Hass doch wirklich so gar keinen Sinn. Wieso jemanden ablehnen, den man gar nicht kennt? Und gab es nicht immer wieder jüdische Mitmenschen, die Großes bewirkt haben? Was wären wir heute ohne die Einflüsse von Sigmund Freud, Franz Kafka oder Felix Mendelssohn Bartholdy? Was unterscheidet sie denn am Ende von Goethe, Schiller und Freytag?

Allen Generationen muss ins Bewusstsein gerufen werden, was es bedeutet, Mensch zu sein, was es bedeutet, Mitmenschen zu sein. Niemand hat es verdient, aufgrund seiner Identität diskriminiert zu werden. Dies muss man endlich verstehen, damit ein harmonisches Zusammenleben und ein lebenswertes Leben eines jeden Individuums gewährleistet sein und gelingen kann.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.



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