Projekttag „70 Jahre Grundgesetz“ an der Winfriedschule

31.07.2019 11:17

Von: Robert Brand

Heute vor 100 Jahren verabschiedete die Nationalversammlung in Weimar die erste demokratische Verfassung Deutschlands. Zwar stellte sich im Laufe der Jahre heraus, dass diese Verfassung noch die eine oder andere Schwachstelle hatte, so gab es zum Beispiel kein Verfassungsgericht, vor dem man seine Grundrechte hätte einklagen können. Nichtsdestotrotz trat 1919 eine sehr fortschrittliche Verfassung in Kraft, basierend auf dem Prinzip der Volkssouveränität und mit einem Grundrechtekatalog.

Die Weimarer Verfassung hatte auch Vorbildfunktion für das 30 Jahre später in Kraft getretene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, welches am 23. Mai 1949 vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer (CDU), verkündet wurde. Genau 70 Jahre später, am 23. Mai 2019, fand an der Winfriedschule ein Projekttag zum Verfassungsjubiläum statt. Alle Schülerinnen und Schüler sollten so die Gelegenheit bekommen, sich mit einzelnen Werten oder Themen zu beschäftigen, die in einem Zusammenhang zum Grundgesetz stehen.

Möglich war das zum Beispiel während einer Grundrechte-Rallye: Im gesamten Schulgebäude verteilt ließen sich Grundrechte-Plakate aufspüren, um ihnen dann etwas näher auf den Grund zu gehen. Zahlreiche Klassen machten sich dann auf den Weg zu Orten außerhalb des Schulgeländes. Die Synagoge, das Wahlamt, das Umweltzentrum oder das „Wohnzimmer“ – an all diesen Orten ließ sich Wertvolles zur Bedeutung von Grundrechten in unserem Alltag erfahren. Andere Klassen wagten sich frei oder mit Hilfe von Projektheften der Bundeszentrale für politische Bildung an eine kreative Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz. Es entstanden zum Beispiel Grundgesetz-Spiele und bunte Plakate rund um Grundrechte und die freiheitliche Ordnung.

Für die 9. und 10. Klassen reisten zwei Schauspieler des Brachland Ensembles an, um die Performance „Diktat“ aufzuführen. Die Performance nimmt sich alltägliche „Diktate“ wie Anweisungen von Eltern, in der Schule, auf Ämtern, im Internet usw. vor und befragt die Lust am Befehlen, aber auch das Selbstverständliche der Hörigkeit: A gibt B Befehle, die B umgehend ausführt, und von Runde zu Runde bilden sich Machtstrukturen, die sich wandeln und neu definiert werden –  auch vom Publikum, das schließlich aufgefordert wird, selbst einzugreifen. Wie angekündigt verschwamm die Grenze zwischen Ernst und Performance tatsächlich zusehends, und es entwickelte sich ein intensives Lehrstück über das Wechselspiel zwischen Einzelnem und Gruppe sowie über den Mut, „Nein“ zu sagen.

Ein anderer Höhepunkt des Projekttages war die Podiumsdiskussion zu dem Thema „Die Würde des Menschen nach Art. 1 GG – unantastbar oder ungreifbar?“ für die Klassen der Oberstufe. Moderiert vom Kollegen Thomas Busold diskutierten Dr. Wolfgang Gerhardt, ehem. FDP-Bundesvorsitzender und ehem. Vorsitzender des FDP-Bundestagsfraktion, der Moraltheologe Prof. Tobias Hack, Dr. Szymon Mazur, Richter am Amtsgericht Fulda, und der Fuldaer Philosoph Dr. Christoph Quarch. Gemeinsam versuchten sie an Beispielen, das Konzept der Menschenwürde zu konkretisieren und auch auf Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens zu überprüfen. Schwerpunkte waren dabei die Menschenwürde als Grundlage des Umgangs mit Leben und Sterben, als Grundlage der Rechtsordnung und als Grundlage von Politik. Anhand aktueller Themen wie dem assistierten Suizid oder dem Umgang und Handel mit Unrechtsstaaten zeigte sich erwartungsgemäß große Einigkeit auf dem Podium, was den überragenden zivilisatorischen Wert von Art. 1 GG und der Garantie der Menschenwürde betrifft. Mit Blick auf die Herleitung und auf Herausforderungen für die Menschenwürde wurden allerdings unterschiedliche Perspektiven angeboten und u.a. über die Frage gestritten, was eigentlich alles gesetzlich geregelt werden soll und wo dem Einzelnen auch nicht-geregelte Schutzräume für sein Handeln bleiben sollen. Anschaulich erörtert wurde auch das Dilemma, vor dem man in Politik und Wirtschaft eines Landes steht, wenn man einerseits die Würde des Menschen für unantastbar und absolut schützenswert erklärt, andererseits aber Beziehungen zu Ländern unterhält, die diesem Anspruch nicht genügen. Wolfgang Gerhardt mache hier deutlich, dass ein einfaches Sich-Zurückziehen hier nicht unbedingt helfe, schließlich würden Menschenrechte in vielen Teilen der Welt geringgeschätzt, und wer sich aus Handel zurückziehe, werde schnell durch andere ersetzt, auch durch Nachbarn aus der EU. Fundamental sei daher, dass man sich zumindest nicht korrumpieren lasse und immer jedem gegenüber klar artikuliere, was und wie man denkt. Das passt zu einer grundsätzlichen Erkenntnis, die gegen Ende der Veranstaltung formuliert wurde: Die Menschenwürde und daraus abgeleitete Werte sind keine Selbstläufer. Es bleibt eine Frage von Bildung, Wertebewusstsein und Bereitschaft zum Engagement, um diesen Errungenschaften immer wieder zu Gültigkeit und Anerkennung zu verhelfen.

Im Rahmen des Projekttages haben Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer auf unterschiedliche Weise entsprechende Anstöße erhalten.



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